Pete Mijnssen
,
Chefredaktor
(pete.mijnssen@velojournal.ch)
Gesellschaft,
30.09.2025
Trotz des Veloweggesetzes scheint es aktuell nicht so, als ob in der Schweiz bei Veloinfrastruktur-Projekte gross gedacht wird.
Wie von ihm gewohnt verstand es Thomas «Thömu» Binggeli und die Trägerschaft, Fachleute, Politikerinnen und Politiker und die Velobranche in den Weiler Oberried zu locken. Dass der Ort, 45 Velominuten von Bern entfernt, nicht gerade um die Ecke lag, machten eine gute Organisation und die lockere Atmosphäre im «Clubhaus» des Bikeparks wett.
Die niederländische Verkehrsplanerin Elke Schimmel, Hauptrednerin des Abends, unterzog die Hinfahrt aus Bern gleich einem Praxistest für das Schweizer Radnetz. Ihr Fazit fiel wenig schmeichelhaft aus, wie sie später den «Tages-Anzeiger» wissen liess: «Gut gemeint, aber nicht gut geführt». Kurz: viel Unsicherheit, viel Autoverkehr, fehlende Führung. Anders als in den Niederlanden, wo das intuitive Velofahren oberstes Prinzip ist und die Stadtplanung in vielen Städten umkrempelt. So etwa in Utrecht, wo aus einer früheren Stadtautobahn der Sechzigerjahre wieder ein Kanal mit parallel geführten Veloverbindungen wurde. Oder wie in der Region Eindhoven, wo E-Bike-Pendlerrouten als Antwort auf überlastete Autobahnen ausgebaut werden. Im belgischen Gent entlastet ein «Zirkulationsplan» den historischen Stadtkern vom Durchgangsverkehr. Es gibt noch viele weitere gute Beispiele, wie Schimmel belegen konnte.
«Gut gemeint, aber nicht gut geführt.»
Elke Schimmel, CEO november:city
Gute Velonetze seien ein Standortvorteil: «In den Niederlanden ist das Velo ein strategischer Hebel der Klimapolitik – nicht nur Ergänzung zum ÖV», brachte es Elke Schimmel auf den Punkt. Dafür brauche es Mut und politischen Willen, der auch von der Bevölkerung getragen werde. Liegt die Zukunft der Stadtplanung also in den Niederlanden, oder ist der Traum von der autogerechten Stadt doch noch nicht ausgeträumt? Beispiel für Letzteres ist Berlin, wo aktuell das Velo-Rad zurückdreht und bei der Aktivmobilität (Velo- und Fussgängerverkehr) gespart und wieder von Autobahnen geträumt wird. Ein Thema, das die Stadtplanenden-Szene aufgrund der politischen Weltlage und ihren Auswirkungen aktuell umtreibt, wie Schimmel bestätigte.
Rechtsumkehrt also auch hier. Stadtplanung ist und bleibt ein Zankapfel zwischen besitzstandwahrender Politik und gewandelten gesellschaftlichen Bedürfnissen. Gut lässt sich dies anhand der Berichterstattung in der NZZ beobachten. Während bei jeder Zürcher Baustelle ein rot-grüner Umsturz befürchtet wird, schreibt die Zeitung schon fast bewundernd über Utrecht, wo «das Auto nur noch Gast ist» und der Ort als Paradebeispiel für eine moderne Stadt gilt.
So war an diesem Veloforum der Rahmen gesetzt. Der Abend drehte sich um die Halbzeit beim Veloweggesetz und generell um die Schweizer Velowende. War vor einem Jahr Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider die Hauptrednerin des Veloforums, nahmen diesmal Politikerinnen wie Pro-Velo-Präsidentin Délphine Klopfenstein Broggini und ihr ehemaliger Kollege und Freiburger Staatsrat Jean-Francois Steiert Stellung. Auf der anderen Seite sass Astra-Direktor Jürg Röthlisberger und dazwischen Velosuisse Sekretär Martin Platter.
«Haupthindernis der Veloförderung sind die immer grösseren, breiteren und stärkeren Autos.»
Martin Platter, Sekretär Velosuisse
Während Steiert und Klopfenstein fehlendes Velo-Fachpersonal und die Finanzen bemängelten, verwies Röthlisberger darauf, dass gerade beim Agglomerationsprogramm ein Vollzugsnotstand herrsche. «Zu viele wenig ausgereifte Projekte», so Röthlisberger. Steiert betonte, dass für eine effiziente Veloförderung immer wieder kreative Lösungen, aber auch Mut wichtig seien. Klopfenstein verlangte mehr Tempo bei der Umsetzung des Veloweggesetzes (siehe auch Interview). So wurden viele Bälle im Behörden- und Politikersprech hin- und hergeworfen. Dabei ging Martin Platter fast unter. Für sein Votum, ein «Haupthindernis der Veloförderung sind die immer grösseren, breiteren und stärkeren Autos» bekam er jedoch einen wohlverdienten (einzigen) Szenenapplaus.
Vor dem Dessert folgte noch ein Kurzinterview mit Sandra Felix, Direktorin des Bundesamtes für Sport Baspo und Julien Hess, Direktor UCI mit einem Rückblick auf die diesjährige Mountainbike-Weltmeisterschaften. Verständlicherweise durfte angesichts der Veloforum-Trägerschaft Swiss Cycling auch der Sportaspekt nicht zu kurz kommen. Das war dann aber wohl etwas zu viel des Guten und die ersten Gäste befanden sich schon wieder auf dem Heimweg. Fazit: Weniger wäre mehr, dafür gerne etwas vertiefter.
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